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Wenn man mal muss

albano, Tokyo (Japan) im Dezember 1999

Seit ich vor mehr als einem Jahr zum ersten Mal die mexikanische Grenze überquert habe, ist es keineswegs mehr eine Selbstverständlichkeit gewesen, in besiedeltem Gebiet im Falle eines menschlichen Bedürfnisses überhaupt einen Abort zu finden, geschweige denn einen, der gewisse Mindestanforderungen an Komfort und Hygiene erfüllen würde. Das heisst nicht, dass es in Lateinamerika gar keine angenehmen Örtchen gibt, um kleine und grosse Geschäfte zu verrichten. Gepolsterte Klobrillen sind aber doch eher die Ausnahme.

In der Regel sind die Schüsseln nämlich weder mit Deckel noch mit Sitzring ausgerüstet. Man hat also die Wahl, sich direkt auf die kalte Glasur zu setzten oder aber sich mit grosser Kraftanstrengung, halb stehend, halb sitzend, einen Muskelkater zuzuziehen. Manchmal macht der Schüsselrand einen sauberen Eindruck, und man gönnt sich trotz des unfreundlich kühlen Kontakts eine Ruhepause, sofern man die Kabine überhaupt abschliessen kann. Ist dies nicht der Fall, können dem Problem ganz verschieden Ursachen zugrunde liegen: der Raum ist zu klein, es fehlt ein Riegel oder es hat ganz einfach nur draussen Licht, und bei geschlossener Tür sitzt man im Dunkeln.

Irgendwann kommt der Moment, in dem man die Spuren der Unternehmung abwischen möchte, und spätestens jetzt merkt man, dass man kein WC-Papier dabei hat. Auf der Suche nach einer Lösung wird man etwa im Portemonnaie fündig, wo meist einige nutzlose Quittungen auf die Entsorgung warten. Und wenn diese Option ausfällt, findet man vielleicht im Papierkorb auf dem einen oder anderen Abschnitt eine saubere Ecke. Und einen Korb hat es fast immer, denn es ist hier nicht üblich, auch das Papier hinunterzuspühlen. Die Gefahr ist zu gross, dass es irgendwo im unsicheren Leitungsnetz hängenbleibt und eine Überschwemmung verursacht.

Zum Schluss ist man bestrebt, den Ort des Geschehens sauber oder so sauber es halt geht zu hinterlassen. Man zieht erwartungsvoll an der Spülleine oder am Hebel, wenn das eine oder andere vorhanden ist, und - nichts geschieht. Es ist durchaus möglich, dass das so vorgesehen ist. Meist findet man in diesem Fall irgendwo in der Nähe einen kleinen Kübel, und zwar bei einem Wasserhahn oder einem mit Wasser gefüllten Fass. Der Eimer ist üblicherweise zu klein, um die Toilette in einem Durchgang zu säubern. Beim Verlassen der Räumlichkeiten muss man schliesslich auch schon mal die Schuhe trocknen, mit denen man in einem See umhergewatet ist.

Neben der beschriebenen Standard-Ausführung gibt es auch in Lateinamerika die Exoten unter den Aborten. Die einfachste und doch recht wirkungsvolle Version einer Toilette, die ich gefunden habe, besteht aus einem mit Holzplanken überdeckten Erdloch im Hof eines Wohnhauses. Nicht begriffen habe ich die Funktionsweise jener Version, bei der die Ausscheidungen in ein Becken geleitet werden, das von aussen wie ein Brunnentrog zugänglich ist - wahrscheinlich ein Konstruktionsfehler. Es kann aber auch vorkommen, dass man nach einem WC fragt und herausfindet, dass es im betreffenden Haus kein solches gibt. In solchen Fällen habe ich der Höflichkeit halber nicht weiter nachgebohrt.

Im südlichen Amerika steht es also mit den stillen Örtchen nicht zum Besten, aber auch in der hochentwickelten Toilette einer Boeing 757 können unerwartet Probleme auftauchen. Das stelle ich fest, als ich Ende November von Lima nach Atlanta fliege. Plötzlich frage ich mich, wo ich eigentlich hier das benützte Papier deponieren soll.

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© 9.12.1999 albano & team