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albano, Mazatlán (Mexiko) im November 1998
Bevor ich am Donnerstag, 1. Oktober weiterziehe, treffe ich Ernie Reyes, mit seinem Taekwondo-Team, in der Kampfsportszene weit über die Landesgrenzen hinaus bekannt. Leider sehen wir uns nur kurz, da ich ohne Voranmeldung hereinplatze.
Sterne im Nebel
Jonas will in San Jose noch einen Verwandten besuchen, bevor er weiterzieht. Ich breche unterdessen schon mal Richtung Westen auf. Der steilste Weg führt über den Mount Hamilton, mitten über den Berg, weil sich auf dem höchsten Punkt die Lick-Sternwarte befindet. Sie besteht aus verwirrend vielen Kuppeln mit Teleskopen verschiedensten Alters. Ich darf mein Zelt im Garten eines Angestellten aufstellen. Am Abend meines Besuches ist das Wetter für die Astronomen, welche am 3-Meter-Teleskop arbeiten, nicht günstig. Nebel zieht auf, und das Tor der Kuppel muss geschlossen werden.
Der Weg durch die Ebene zwischen dem Küstengebirge und der Sierra Nevada wird von Plantagen gesäumt. Patterson rühmt sich selbst die Welthauptstadt der Aprikosen. Weiter östlich dominieren vor allem Mandeln und Walnüsse. Einem Autofahrer gefällt wohl nicht besonders, dass ich die schnurgerade Strasse fotografiere. Er schreit mich im Vorbeifahren an und gibt eindeutige Handzeichen, dann wendet er, fährt zurück, schreit mich nochmals an, wendet erneut und lässt auch bei der dritten Durchfahrt von sich hören. Zu gerne würde ich ein neues Fluchwort auf Englisch lernen, doch leider verstehe ich immer nur den ersten Teil des Geschreis. Den kenne ich schon.
Natur pur und viel Mensch
Langsam wird das Gelände hügelig. Am 5. Oktober stosse ich nach einem Abstecher auf einer Naturstrasse in den Yosemite National Park vor und bezahle 10 Dollar Eintrittsgebühr. In der Nacht wird es nun schon empfindlich kühl, und ich bin froh um meinen warmen Schlafsack. Die einzige Strasse, welche den Park auf der Ost-West-Achse durchmisst, ist nur noch diesen Monat offen. Ich hoffe, dass sich mit den saisonal sinkenden Besucherzahlen auch die Bären etwas zur Ruhe gesetzt haben. Deshalb lege ich meinen Proviant lediglich luftdicht verpackt ins Aussenzelt, anstatt ihn gemäss den empfohlenen Mindestabständen an einem Baum aufzuhängen. Tatsächlich lässt sich kein Bär blicken.
Die Strasse steigt hinauf zum Tioga-Pass auf fast 10'000 Fuss (rund 3'000 Meter) über Meer leicht an, immer wieder unterbrochen von kurzen Abfahrten. Verschiedenste Nadelbäume wechseln ab mit nackten Felspartien. Dazwischen finden sich Bäche, Seen, Moore und - für meinen Geschmack - immer noch zu viele motorisierte Touristen. Die andere Seite des Passes ist steiler. Nach nur kurzer Abfahrt taucht der tiefblaue Mono-See auf, umgeben von spärlich bewachsenen Ebenen und Hügelzügen. Ich nehme den US-Highway 395 gegen Süden. Eine Seitenstrasse führt mich nach Mammoth Lakes. Der Ort ist am Fuss des Gebirges in bester Lage für Sommer- wie Wintertourismus. Dieser scheint denn auch zu florieren, wie die grossspurige Infrastrktur vermuten lässt.
Der Wilde Westen im Museum und im Film
Am Freitag, 9. Oktober erreiche ich in Bishop endgültig wieder die zivilisierten Vereinigten Staaten. Hier steht mir die ganze Palette der Schnellimbissketten zur Verfügung. Die Region hat aber noch mehr zu bieten. Ich mache einen Abstecher in den Weiler Laws. Auf dessen stillgelegtem Bahnhof wurde eine Art Freilichtmuseum eingerichtet. Viele alte Gebäude aus der Umgebung wurden hier neben ein paar Originalanlagen wieder aufgebaut. Darin sind jede Menge Gegenstände aus früheren Jahren ausgestellt, teilweise etwas wahllos, so dass es schwerfällt, die Zusammenhänge zu erkennen.
Einen Tag später treffe ich am frühen Nachmittag in Lone Pine ein und platze mitten in die Filmfestspiele. Alle gezeigten Filme stehen mit dem Ort in einem Zusammenhang. Dessen Umgebung bietet eine grossartige Kulisse für Western-Filme. Ich werde von einem nicht ganz unbekannten Stuntkoordinator und Ehrengast zu seiner Vorführung eingeladen. Der Film zeigt die Dreharbeiten verschiedener Action-Szenen. Er hat keinen Ton. Stattdessen spricht der Produzent den Kommentar direkt im Saal. Anschliessend scharen sich die Leute um ihn. Doch er vergisst mich nicht, sondern stellt mir sein Hotelzimmer inklusive Lebensmitteln zur Verfügung, auch wenn er gleich zum nächsten Termin eilen muss. So komme ich zu einer Dusche und zu einer Rasur.
Gluthitze im Tal des Todes
Gleich nach Lone Pine zweigt die Strasse nach Osten Richtung Death Valley ab. Der Weg dorthin ist ziemlich öde. Etwas Abwechslung bringen die beiden deutschen Fernradler, die mir entgegenkommen. Das Tal selbst ist gut erschlossen. Man findet Wasser, Lebensmittel, Zeltplätze und natürlich ein Besucherinformationszentrum, denn auch Death Velley ist ein Nationlpark. Das Tal ist unter dem Meeresspiegel und erhält kaum Niederschläge. Der Boden ist teilweise so salzhaltig, dass keine Pflanzen gedeihen können. Die Spitzentemperaturen werden im Juli und August gemessen. Zwar ist es mir auch jetzt zu heiss, trotzdem wähle ich die Südroute, die im Sommer geschlossen ist. Einen Teil der Fahrt verlege ich in die Abend- und in die frühen Morgenstunden. Die Leute sind hier besonders hilfsbereit. Mehrmals erkundigen sich verbeifahrende Touristen, wenn ich anhalte, nach meinem Befinden und nach dem Zustand meiner Ausrüstung. Nachdem ich mich am Südende des Tals wieder hochgekämpft habe, werde ich sogar in einen Campingbus zum Orangensaft eingeladen.
Kurz bevor ich am 14. Oktober die Grenze zu Nevada passiere, stosse ich auf einen Haufen Lebensmittel am Rand der Strasse. Ich stelle bald fest, dass ich zu wenig Platz habe, um alles Brauchbare einzupacken. Unterdessen finden sich aber schon andere Leute ein und füllen ihren Kofferräume mit Frühstücksflocken, Ahornsirup und Käsebisquits. Kurz darauf taucht der Eigentümer der Waren auf, um die Überreste des Zwischefalles wegzuräumen. Er hatte die Türe seines Transporters nicht gut verschlossen.
Brot und Spiele
Der Süden Nevadas zieht noch immer viele Firmen und Personen an. Sowohl Pahrump, an der Grenze zu Kalifornien, wie auch Las Vegas und die umliegenden Städte wachsen unaufhörlich. Ein Ende ist nicht abzusehen. Innerhalb und ausserhalb der besiedelten Gebiete hat es noch viel Platz. Noch mitten im Zentrum von Las Vegas werden neue Bauten aus dem Boden gestampft. Auch in diesen Unterhaltungstempeln werden sich die Leute während 24 Stunden pro Tag vergnügen können, meist mit den verschiedensten Arten von Geldspielen. An zwei Abenden tauche ich in die Innenstadt ein. Die Casinos wetteifern mit prunkvollen Aussenanlagen um die Gunst der Kunden; Wasserspiele, Lichterketten, sogar Flammenwerfer. Auch im Innern wird viel für die Sinne geboten; das hebt die Stimmung der Gäste und fördert das Geschäft. Auf Schritt und Tritt wird man von sanfter Musik und den immer wieder gleichen Melodien der Spielautomaten begleitet. Die Kellnerinnen scheinen sich in Sachen Beinlänge und Dekolletee-Grösse gegenseitig übertreffen zu wollen, und zwar so konsequent, dass ihre Brüste und Hinterteile aus den engen Kostümen zu quillen drohen.
Ich konzentriere mich vor allem auf das kulinarische Angebot. Für einen Pauschalpreis kann man sich an den Buffets vollfressen bis zum umfallen, wenn man will. Am grössten solchen Buffet im Rio habe ich allerdings nicht die geringste Chance, die Speisen aus der ganzen Welt alle zu probieren. Zu vielfältig ist das Angebot. Etwas genauer unter die Lupe nehme ich das Dessertbuffet. Der Aufruf des Managements, man solle doch alles aufessen, was man auf dem Teller auftürmt, wird von den wenigsten Gästen ernst genommen. Nicht selten muss das Personal nur halb geleerte Teller und Schalen abtragen.
Wüste mit Oasen
Am Sonntag, 18. Oktober verlasse ich Las Vegas um 4 Uhr morgens und fahre gegen Süden. Kurz nach Sonnenaufgang nehme ich ein Nickerchen, welches aber von zwei besorgten Japanern gestört wird. Für die nächsten paar hundert Kilometer ist die Landschaft ziemlich trocken und öde; sanfte Hügel, links und rechts der Strasse nur Büsche. Unter diesen Umständen sind die Eisenbahnlinie und die Interstate-Autobahn erwähnenswert, die ich kreuze. Die Siedlungszentren, wenn man die paar Häuser so nennen will, sind für meine Verhältnisse halbe Tagesreisen voneinander entfernt, und Lebensmittel sind nicht überall erhältlich. Der Laden in Essex ist nicht mehr in Betrieb, dafür gibt es eine Autowerkstatt. Der Besitzer wohnt mit seiner Familie gleich nebenan. Ich darf im Hof übernachten und werde bis zum Morgen duchgefüttert, inklusive Verpflegung für unterwegs.
Am Mittwoch stosse ich in Twentynine Palms endlich wieder auf eine Mc-Donald's-Filiale, ein untrügliches Zeichen, dass ich in die Zivilisation zurückgekehrt bin.
Am nächsten Tag tauchen nach langer Abfahrt die Windkraftwerke von Palm Springs auf. Mit viel Strom und Wasser wird in dieser Region der Wüste Lebensqualität abgetrotzt. Jeder Rasen, jedes Blumenbeet muss bewässert werden. Als Radfahrer kann man sich ab und zu einige Spritzer aus einer Sprinkleranlage erhaschen. Aber auch für die anderen Menschen gibt es Abhilfe. Dank befeuchteter Luft bleibt es in den Gartenrestaurants angenehm kühl. Von meinem Lagerplatz oberhalb des Siedlungsgebietes ist deutlich die scharfe Trennlinie zwischen den grünen Wohngebieten und der braunen Wüste zu erkennen.
Durch hügeliges Gebiet fahre ich weiter Richtung San Diego. Am 24. Oktober lasse ich mich im Nordosten der Stadt wieder einmal auf einem County-Zeltplatz nieder, zu einem besonders günstigen Tarif. Von dort aus gehe ich während 3 Tagen in die Stadt auf Entdeckungsreise. Als ich am ersten Abend vor einem Getränkeladen den Stadtplan unter die Lupe nehme, fragt mich eine Frau, wenig älter als ich, nach Kleingeld für den Bus und beginnt sogleich, von sich zu erzählen. Sie hat es nicht leicht. Ich höre ihr eine ganze Weile zu, stelle Fragen. Ihre Geschichte beschäftigt mich auf dem Rückweg und auch noch Wochen danach.
Besuch bei den Tieren
Der nächste Tag vergeht mit verschiedenen Besorgungen. Eine davon ist der Besuch des ehemaligen Hauptpostamtes, wo noch immer die postlagernden Sendungen ausgeliefert werden. Der Brief, den ich dringend erwarte, lagert noch nicht.
Am Dienstag steht ein Besuch im Zoo auf dem Programm, fast ein Muss für San-Diego-Besucher. Dieser ist zwar gross, aber gut erschlossen und überblickbar. Die paar Stunden reichen trotzdem nicht, um sich mit allen Tieren zu befassen, nicht einmal, um allen Zoo-Bewohnern nur einen kurzen Besuch abzustatten. Die Hauptattraktion sinds zweifellos die Riesenpandabären, durch deren Gehege die Leute in mehreren Kolonnen durchgeschleust werden, damit alle zum Zug kommen. Mir gefallen die Giraffen. Sie scheinen die tägliche Störung durch die Besuchermassen völlig gelassen zu nehmen und beobachten interessiert die Leute, die sich ihrem Gehege nähern. Hier wie bei den Affen wird die Rollenverteilung zwischen Ausstellungobjekt und Beobachter besonders unklar.
Am Mittwoch ist noch immer nichts für mich auf der Post. Gegen Abend treffe ich einen velofahrenden Studenten und darf bei ihm übernachten, obwohl er selbst nicht mit Wohnraum gesegnet ist. Am Donnerstag stürzen wir uns auf das Büffet in der Universitäts-Mensa und besuchen dann ein Theaterstück gleich nebenan. Es ist einfach aber wirkungsvoll aufgebaut, die Darsteller spielen kraftvoll, und mit viel Einsatz, es bleiben viele Fragen offen.
Nach einer weiteren Nacht beim gleichen Gastgeber werde ich von der Post zum fünften Mal enttäuscht. Diesmal habe ich genug und hinterlasse eine Adressänderung: postlagernd, Mazatlan, Mexico. Um ganz sicher zu gehen, dass die Post von San Diego die postlagernden Sendungen auch wirklich im Griff hat, fahre ich am Samstag noch weit in den Norden der Stadt zur neuen Hauptpost. Doch dort verweist man mich auf die frühere Hauptpost in der Nähe des Zentrums.
Halloween
Heute ist Halloween, ein vorweihnächtliches Ereignis. Am Abend ziehen die Kinder von Haus zu Haus und erhalten Süssigkeiten. Überall steigen jahrmarktartige Feste. Ich mische mich an einem solchen Fest in einer umfunktionierten Montagehalle unter die mehrheitlich schwarzen Leute und tauche mit der Zwischenverpflegung vom Imbisstand in die marchigen Drum'n-Bass-Rythmen ein. Die Jugendlichen aus der Umgebung sind hier versammelt und produzierern sich auf der Tanzfläche, scharf beobachtet von mehreren Sicherheitsbeamten, die sich, die Personenüberprüfung am Eingang ausgenommen, diskret im Hintergrund halten.
© 12.12.1998 albano & team