hoch
rechts

September in den Vereinigten Staaten

albano, San Diego (USA) im Oktober 1998

Abflugtermin: Donnerstag, 3. September, frühmorgens. Bis dahin muss alles erledigt sein. Es ist unglaublich, wieviele Kleinigkeiten sich in letzter Minute noch aufdrängen. Soll ich das zerrissene Lenkerband noch ersetzen oder soll ich das Problem unterwegs lösen? Und natürlich möchte man sich noch von einigen Leuten verabschieden. So kommt es, dass ich meine Sachen erst in der letzten Nacht vor dem Abflug für den Transport verpacke. Schliesslich bin ich froh, dass mich meine Eltern im Auto von Bern nach Kloten chauffieren, denn mit dem ersten Zug hätte ich mein Flugzeug nur gerade ganz knapp erwischt.

Mein erster Linienflug überhaupt führt mich nach Frankfurt. Von dort geht es in einer grösseren Maschine weiter nach New York. Ich lasse Europa, meine Heimat, zurück. Im Unterschied zu früheren Auswanderern in die Neue Welt werde ich wieder zurückkehren. Wie müssen sie sich wohl gefühlt haben? Meine Flugbegleiterin hat andere Probleme. Aber sie verliert auch nach dem fünften Glas Weisswein, das mein Nachbar bestellt, nicht die Nerven. Eine spitze Bemerkung kann sie sich allerdings nicht verkneifen.


New York mit dem Fahrrad

Mein Gastgeber in New York, den ich durch die Arbeit für den Club kennengelernt habe, hat mir ein Taxi bestellt. Auf der Fahrt nach Manhatten versuche ich mich trotz allen Ueberholmanövern und Tempowechseln zu entspannen, da ich ja doch keine Kontrolle über das Fahrzeug habe. Den jamaikanischen Akzent meines Fahrers beginne ich erst langsam zu verstehen, als wir uns durch den zähflüssigen Verkehrsbrei in der Innenstadt wälzen.

Natürlich könnte ich beliebig länger als zwei Tage in New York bleiben, ohne dass es mir langweilig würde. Wenigstens kann ich in dieser Zeit die Aussicht vom Empire State Building bewundern, die bei Touristen sehr beliebte Bootsfahrt hinaus zur Freiheitsstatue unternehmen und das UN-Hauptquartier besichtigen. Vor allem aber kann ich viel Radfahren, mit und ohne Begleitung. Wie in jeder Stadt kommt man auch in New York mit dem Fahrrad am schnellsten vorwärts. Wenn man früh genug einspurt, kann man bis zur Kreuzung die vierte Spur erreichen und problemlos links abbiegen. Manchmal ist es aber auch ratsam, sich den Fussgängern anzuschliessen.

Die Radfahrer trainieren natürlich nicht im dichten Verkehr mit Lichtsignalen alle paar Meter. Mein Gastgeber zeigt mir die leicht wellige Werktags-Trainingsstrecke im Central Park. Am Samstag schleust er mich ins Training seines Veloclubs ein, welches aus der Stadt hinaus nach Norden führt. Ich gerate in eine schnelle Gruppe, und man staunt etwas über meine Ausrüstung: Schutzbleche, Gepäckträger, Sandalen ohne Pedalhaken.


Noch ein Schweizer in Amerika

Am Sonntag, 6. September fliege ich weiter nach Seattle. Dort herrscht ein etwas rauheres Klima. Bei der Landung entdecke ich Nadelbäume entlang der Piste. Ich werde von Jonas abgeholt, der aus dem gleichen Land stammt wie ich. Ich habe im Frühling von seiner Amerika-Tour erfahren und ihn getroffen, worauf wir vereinbart haben, ein Stück gemeinsam zu Reisen. So hat sich mein Interesse auf Amerika gerichtet, nachdem ich anfänglich nur gewusst habe, dass ich Reisen will und zwar ausserhalb Europa, und das nicht nur für ein paar Wochen.

Jonas ist seit drei Monaten unterwegs. Er hat sich von Alaska aus mit dem Fahrrad nach Süden vorgetastet, und wir haben regelmässig elektronische Meldungen ausgetauscht. Für Unterkunft in Seattle hat er schon gesorgt. Wir zelten im Garten eines Bekannten, den Jonas erst vor ein paar Tagen kennengelernt hat. Schon wenige Tage später führt uns sein sechster Sinn für gute Unterkünfte im Hügelland hinter der Küste Washingtons zu einem Bauernhaus. Auch hier dürfen wir nicht nur unser Zelt aufstellen, sondern am folgenden Morgen gleich am Frühstückstisch Platz nehmen. Wir können die dicken Pfannkuchen an diesem Donnerstag gut gebrauchen, werden wir doch von einigen Meilen Kiesstrasse durchgeschüttelt bis wir bei Raymond die Küste erreichen. Als Zugabe nebelt uns ab und zu ein Holztransporter mit Staub ein.


Imposante Küste - riesige Bäume

Die Küste des Staates Washington ist leicht hügelig, durchzogen mit Sumpfgebieten. Viel beeindruckendere Abschnitte hat aber Oregon zu bieten, nachdem wir die stattliche Brücke über die Mündung des Columbia River passiert haben. Die Küste wird steil abfallend, teils mit vorgelagerten Felsen und eingebetteten Sandstränden. Grosse Teile dieser Landschaft sind als Erholungsgebiete ausgesondert, weshalb es kein Problem ist, einen Zeltplatz zu finden.

Wohl den Höhepunkt bilden die Oregon Dunes, riesige Sanddünen, die sich mehrere Meilen landeinwärts erstrecken. Hier wird der Begriff Erholung auf die amerikanische Art interpretiert. Die Leute brausen zu diesem Zweck mit Off-Road-Fahrzeugen im Sand herum. In Nordkalifornien beeindrucken die Redwoods, jahrhundertealte Baumriesen.

Der Umweg durch den Jedediah Smith Redwoods State Park am Mittwoch, 16. September lohnt sich. Auf einer schmalen Naturstrasse kurven wir um die gigantischen Bäume, welche noch für einige Tage unseren Weg säumen. Die Redwoods sind zwar in einigen Gebieten geschützt, aber ihr Holz ist beliebt, und sie werden nach wie vor geerntet. In Scotia werden sie dann in den Werken der Pacific Lumber Company weiterverarbeitet. Dort erfahren wir, dass Umweltaktivisten immer wieder versuchen, das Fällen einzelner Bäume zu verhindern, indem sie sich persönlich in die Baumkronen begeben.

Der US-Highway 101, auf dem wir für einige Tage gegen Süden gefahren sind, führt in Kalifornien nicht mehr der Küste entlang. Wir zweigen also ab auf die Staatstrasse 1. Am Samstag Abend dürfen wir unser Zelt auf einem privaten Grundstück direkt am Meer aufstellen. Dort ist ein Fest mit Lagerfeuer und Feuerwerk in vollem Gang. Wir gesellen uns dazu und stopfen uns mit gekochten Muscheln voll. Der grösste Teil des Abends wird vom Hausbesitzer selbst bestritten, welcher patriotisch und sogar philosophisch wird und, zumindest unter leichtem Alkoholeinfluss, gerne kontrovers diskutiert. Mir sagt die feuchte und salzige Meeresluft zu, Jonas ist darüber etwas weniger begeistert.

Dies ist einer der Gründe, um die Küste vor San Francisco zu verlassen. Der wichtigere ist aber Napa Valley, das weltberühmte kalifornische Weinbaugebiet. Wir finden dort jede Menge Weinkeller, welche allesamt zur Degustation einladen. Einige schenken den Wein sogar gratis aus. Wir halten uns an diese Produzenten, beschränken uns allerdings auf eine Weinprobe pro Tag, damit wir uns noch auf den Fahrrädern halten können.


Ein Strassennetz für Autos

San Francisco ist von Napa aus gut in einem Tag zu erreichen. Die von uns ausgewählte Strecke ist allerdings nicht auf allen Abschnitten fahrradkompatibel. Schon kurz nach Napa erklärt uns ein recht freundlicher Polizist mit Streifenwagen, dass wir hier auf einem Freeway seien (kreuzungsfreie Schnellstrasse mit weiträumigen Ein- und Ausfahrten) und dass hier Fahrräder nicht erlaubt seien. Nach einigen legal zurückgelegten Meilen stossen wir auf die weit und breit einzige Brücke in unsere Richtung. Darüber führt nur ein Interstate Highway (national, richtungsgetrennt, kreuzungsfrei und stark befahren). In unsere Richtung führen zwar drei Spuren, uns wäre aber ein Pannenstreifen lieber gewesen.

Nach Sonnenuntergang erreichen wir Oakland. Von dort führt die etwa sieben Meilen lange Bay Bridge auf die Halbinsel von San Francisco. Auch hier gibt es keine Passiermöglichkeiten für Fussgänger oder Radfahrer. Wir beschliessen, die Bucht mit dem Regionalzug BART unterirdisch zu durchqueren.

Zu später Stunde lassen wir uns für die Nacht im Golden Gate Park nieder. Am folgenden Tag (Mittwoch, 23. September) besuchen wir die Golden Gate Brücke. Hier gibt es zwei Seitenstreifen für Fahrräder und Fussgänger. Der Ausblick auf San Francisco und die Bucht ist überwältigend. Ebenfalls überwältigend sind die steilen Strassen-stücke, welche ab und zu entstehen, wenn die Strassen einfach entlang der Falllinie in den Abhang hinein gebaut werden. Man tut gut daran, den markierten Fahrradrouten zu folgen. Andernfalls riskiert man, sich einer 20-%-Steigung auszusetzen, was mit Gepäck nicht besonders lustig ist.


Trennung und Wiedersehen

Am Abend dieses Mittwochs suchen Jonas und ich verschiedene Unterkünfte. Ich bin mit meiner Zeltplatzsuche nicht so erfolgreich und ende etwas ausserhalb der Stadt an einem Strand. Unser Treffen am folgenden Tag klappt nicht, und auch mit der elektronischen Post gibt es ein Prolem, so dass ich einige Tage nichts von meinem Reisepartner höre und mir schon langsam Sorgen mache.

Inzwischen bin ich in der Jugendherberge untergekommen und sehe noch einiges von San Francisco. Auch treffe ich den Berner Velofahrer wieder, dem wir schon auf unserer Fahrt an der Küste begegnet sind. Am 27. September ziehe ich weiter gegen Süden in die Region von San Jose, wo ich mich auf dem Zeltplatz eines County-Parkes einrichte. (Der Park wird vom County, also vom Verwaltungsbezirk betrieben.) Ich will noch einige Impfungen nachholen, da meine Reise nach Mittelamerika und vielleicht sogar weiter führen soll. Es ist nicht ganz einfach, die richtige Stelle zu finden. Das Gesundheitsdepartement des Countys hat aber eine Abteilung für Impfungen. Und einmal im richtigen Wartezimmer, muss ich nur noch den Fragebogen ausfüllen und erhalte kurz darauf eine umfassene Beratung und auch gleich die vier Spritzen verpasst.

Am gleichen Tag finde ich eine Einladung zum Abendessen in meiner elektronischen Post. Ich telefoniere der Gastgeberin (sie wohnt in Santa Clara), bin wenig später bei ihr, und - die Ueberraschung ist gross - ich treffe dort Jonas wieder.

hoch

© 10.12.1998 albano & team