Schneller als die Eisenbahn

Rekord-Kurbeln im LOEB-Show-Fenster

Geschrieben für die Mitteilungen des Cyclists-Club Bern.

albano, Bern (Schweiz) im Juli 2001

Die Modelleisenbahn steht schon seit einigen Stunden still. Gegen drei Uhr morgens war das Licht im LOEB-Schaufenster plötzlich ausgegangen, aber ein Radfahrer auf der Rolle braucht keine Festbeleuchtung, und so kurbelte ich weiter mit wohl mehr als 120 Umdrehungen pro Minute. Ein Kontrollblick hinter mich zeigte ein bläulich schimmerndes Gesicht. Unser Mess-Profi war noch auf seinem Posten, und auch seine Geräte zählten scheinbar weiter mit. Beruhigt spulte ich weiter, und langsam tauchte in der Lauben-Beleuchtung, welche noch immer im Dienst war, die Anzeigetafel schräg über mir wieder auf

Und nun steht eben die Modelleisenbahn schon einige Stunden still. Die unermüdlichen Helfer haben sich inzwischen um Ersatzlicht gekümmert, aber die Modelleisenbahn schlummert neben Gesellschaftsspielen und Teletubbies weiter vor sich hin, wie es sich zu dieser Stunde gehört. Und ich sitze dahinter am Boden und giesse Fruchtsaft aus dem Beutel in meinen Bidon. Von rechts, von der anderen Seite des Vorhangs her lullt mich das monotone Surren der Walzen ein, welche auf Hochtouren drehen.

Vor dem Schaufenster ist um diese Zeit nicht gerade viel los. Am Bistro-Tisch und auf der Mauer zum einen Kellerabgang sitzen drei etwas müde wirkende Gestalten, treue Club-Mitglieder, die mithelfen, die Rollen auch über Nacht nicht verstummen zu lassen. Sie wechseln sich etwa im 10-Kilometer-Rhythmus an den beiden Maschinen ab, um die Löcher zu überbrücken, welche uns die unangekündigten Rückzieher einiger Gesetzten beschert haben. Inzwischen sind draussen in der Spitalgasse die ersten Anzeichen der Morgendämmerung auszumachen.

Ab und zu halten ein paar Nachtschwärmer kurz an und stellen nicht ohne Belustigung fest, dass man die Nacht auch anderswo als an Parties aktiv verbringen kann. Den 500-Meter-Sprint auf den für Passanten bereitstehenden Geräten möchten sie aber doch lieber später bei Tageslicht antreten. Zwei junge Männer schauen schon mindestens zum dritten Mal vorbei. Über 80 Kilometer pro Stunde, das gehe nicht mit rechten Dingen zu, meinen sie. Besonders jener mit dem blau-schwarzen Tricot, welcher gerade der Rolle einheizt, sehe aus wie ein Profi und sei deshalb bestimmt gedopt.

Später, gegen Mittag, hat sich die Szene grundlegend gewandelt. Nur die Durchschnittsgeschwindigkeit auf der Anzeigetafel zeigt kaum verändert 79 Kilometer und einige zerquetschte Meter an. Aber das Schaufenster ist wieder hell erleuchtet, und eine ganze Schar von strammen Velofahrereinnen und Velofahrern in leuchtendem Rot-Gelb wartet auf ihren Einsatz, beäugt von einem Schwarm von neugierigen Zuschauern, welche den beabsichtgten, werbewirksamen Stau in der Samstags-Einkaufslawine verursachen und die eiligen Durchgänger hinaus in den Regen drängen.

Auch an kompetenter Moderation fehlt es nicht:. Der hauseigene Animateur mit rotem Kittel und schwarzem Zylinder erklärt, dass es linkerhand darum gehe, den 24-Stunden-Rollen-Weltrekord zu schlagen und holt die Leute aus der Masse zum Sprint für jedermann auf der rechten Seite. Und bald schon fliesst Champagner, doch der junge Mann, der gerade sein Pensum fertiggestrampelt hat, lehnt wohlweislich ab. Nach etwas über 20 Stunden der Schaufenster-Aktion hat er den bisherigen Rekord von rund 1'630 km in die Schranken verwiesen.

Aber wir fahren natürlich noch weiter. Etwas später steige auch ich nochmals auf einen der beiden Drahtesel und kitzle die Zahlen auf der Anzeige. Danach packe ich meine Sachen und bahne mir einen Weg durch die stehenden Passanten. Die Modelleisenbahn fährt wieder, aber meine pedalenden Kolleginnen und Kollegen finden etwas mehr Beachtung. Sie holen uns noch rund 250 km mehr aufs Paneel bis um drei Uhr das Ende der vierundzwanzigsten Stunde geschlagen hat. Unterdessen spüle ich zu Hause meinen Schweiss in die Kanalisation und lasse mich in die Federn gleiten, nachdem ich meinen Allerwertesten mit Salbe versorgt habe.

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