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November, Dezember, Januar in Japan
Wucher! - Zeltplätze im Test - Der Durchbruch - Von Toblerone bis zu Plateauschuhen - Weisse Pracht und weisses Brot - Füttern macht Spass - Auf Schatten folgt Licht - Woher der Honig kommt - Mal kurz nach Hause - Letzter Service vor dem Weltuntergang - Gourmets - Kein Schiff, dafür Katzen - Ein Bett für drei Personen
albano, Osaka (Japan) im Februar 2000
Bevor ich den Flughafen verlasse, durchforste ich ihn nach nützlichen Informationen. Dabei lerne ich hauptsächlich, wie man von hier nach Tokyo kommt. Die Versorgung mit Esswaren scheint ausreichend gesichert: Wenige hundert Meter ausserhalb des Geländes stosse ich auf den ersten kleinen Laden. Gleich dahinter liegt ein ruhiges Wäldchen, wo ich einige Stunden im Sack schlummern kann.
Am Freitag Morgen, 26. November bepacke ich mein Rad und fahre los; auf der linken Strassenseite, wie es sich in Japan gehört. Bald tauche ich ins nächste Städtchen ein. Es ist ja alles so eng hier. Aber auch die Fahrzeuge sind nicht allzu breit, und irgendwie kommen sie auch in den schmalsten Gassen aneinander vorbei. Die vielen kleinen und grösseren Ladengeschäfte bestätigen meinen ersten Eindruck. Hier ist so ziemlich alles überall erhältlich. Sehr weitsichtig von den japanischen Behörden, dass die meisten Wegweiser die Ortsnamen auch in der lateinischen Umschrift zeigen. Aber der Zeichensalat beschränkt sich natürlich nicht auf die Strassenschilder. Vieles ist fein säuberlich angeschrieben. Ich fühle mich fast wie in der Schweiz, nur dass ich von den vielen Hinwiesen kaum einen verstehe. Die aufdringlichen Logos der Internationalen, zum Beispiel der Schnellimbiss-Ketten, sind aber auch hier unverkennbar. Ich komme recht zügig voran, bis auf die grosse Schlaufe, die ich am Abend unbeabsichtigt vor dem Stadtzentrum drehe.
Die Jugendherbergen vermieten dort die Betten am billigsten. Trotzdem muss ich, soeben aus Peru eingeflogen, ob den Preisen drei Mal leer schlucken. Unter 3000 Yen, welche im Moment rund 30 US-Dollar kosten, läuft nichts. Zu diesem supergünstigen Preis darf man höchstens drei Nächte bleiben, und um elf Uhr Nachts macht der Laden dicht. Am Samstag suche ich nach einer Alternative. Die Touristeninformation in Untergeschoss des markanten, grösstenteils gläsernen Tokyo International Forums ist sehr hilfreich. Aber auch die angegebenen Internet-Zugriffsstellen sind alles andere als billig.
Akzeptabel hingegen die Preise der günstigsten Nudelküchen mit Stehbar, wo das Bestellen auch ohne Kenntnisse des Japanischen denkbar einfach ist: Gewünschtes Bild auf dem Aushang suchen. Preis und einige Schriftzeichen merken. Entsprechende Taste am Automaten finden und Gutschein kaufen. Diesen in der Küche abgeben und zwischen den vorgezeigten Weizen- und Buchweizennudeln auswählen. Der krönende Abschluss ist etwas schwieriger: Die Teigwaren mit Stäbchen in den Mund befördern, dazu schamlos laut schlürfen.
Übers Wochenende steuere ich den nächstgelegenen Zeltplatz an, um auch noch die Übernachtungskosten in den Griff zu bekommen. Am Sonntag Morgen reicht man mir am Empfang ein japanisches Formular. Gut, dass sich jemand findet, der auch englisch spricht und mir beim Ausfüllen hilft. Die Mini-Parzelle, die ich gemietet habe, bietet gerade genung Raum für mein Zelt. Auf dem ganzen Platz herrscht heute reger Betrieb. Viele Leute wollen die noch angenehmen Temperaturen nützen, um den Tag im Freien zu verbringen. Sie karren Unmengen von Möbeln, Geschirr und Esswaren auf das Gelände.
Auch einen Meter neben meinem Zelt richtet sich eine Gruppe für den sonntäglichen Spass ein. Es wird grilliert. Ich will gerade aufbrechen, um mir ebenfalls etwas Essbares zu besorgen, da reicht mir eine der Frauen von nebenan einen prall gefüllten Teller und eine Dose Bier. Ich soll hinüberrücken, wird mir gedeutet. Da sage ich natürlich nicht nein und bin für einige Stunden gut aufgehoben. Die Gesellschaft besteht aus Lehrern und Eltern einer Schule, und die Leute sprechen natürlich wieder besser Englisch als ich Japanisch. Etwa um vier Uhr beginnen die Tagesgäste langsam abzuziehen. Am Abend stehen insgesamt noch zwei Zelte.
Schon am nächsten Tag muss ich auch wieder ausziehen, denn der Platz schliesst wöchentlich für einen Nacht, und zwar jene vom Montag auf den Diestag. Ein Studienfreund hat mir netterweise ein paar Telefonnummern in Tokyo und die zugehörigen Namen übermittelt, und heute beginne ich Kontakte zu knüpfen. Erstes Resultat: Abendessen italienischen Stils mit einem Deutschsprachigen.
Der Zeltplatz für die nächste Nacht ist etwa gleich weit entfernt wie der erste. Ich komme spät an und finde weder Gäste noch Aufsichtspersonal vor. Also richte ich mein Häuschen ein und lege mich aufs Ohr. Bei Sonnenaufgang rüttelt jemand am Zelt und weckt mich auf. Als ich verschlafen hinausblinzle, erklärt mir der Parkwächter, dass mein Aufenthalt hier sich nicht gehöre. Ich solle so schnell wie möglich den Ort verlassen, mich später während den Bürostunden anmelden und dabei um Himmels Willen nicht erwähnen, dass ich schon letzte Nacht hier verbracht habe.
Ein ganz anderes Problem, das sich schon seit Tagen abzeichnet, bestimmt den Rest des Tages und auch einen Grossteil des folgenden: Meine Fahrradgabel fühlt sich nicht wohl. Beim Zusammensetzen am Flughafen habe ich schon einen ziemlich grossen Riss zuoberst im linken Rohr entdeckt. Inzwischen ist dieses durchgebrochen, allerhöchste Zeit, etwas zu unternehmen. Es ist schon erstaunlich genung, dass ich mit meinem Gerät immer noch fahren kann. Die Fahrradhändler in der Stadt reissen sich nicht gerade darum, meinen Schaden zu beheben. Man schickt mich von Laden zu Laden, und schliesslich komme ich zum ersten zurück, wo man für mich herumtelefoniert, bis jemand gefunden ist, der sich der Sache anzunehmen gewillt ist.
Am nächsten Morgen spreche ich bei der angegebenen Adresse vor, nachdem ich mich auf einem der hilfreichen Polizeiposten nach dem letzten Abschnitt des Weges erkundigt habe. Ich staune nicht schlecht, als der Meister sogleich Hand an meine Maschine legt. Und schon bald schweisst er in der Werkstatt an einer neuen Gabel herum. Unterdessen erledige ich verschiedene Schreibarbeiten. Zum Abschluss schauen wir uns auf dem Computer die frischen Fotos des Vorgangs an.
Mein zweiter Telefonkontakt führt mich dann am Abend in die für japanische Verhältnisse geräumige Wohnung eines Auslandschweizers, welche erst noch durch ihre zentrale Lage und ihre grossartige Aussicht besticht. Der markante Tokyo Tower steht, eingebettet in kantige urbane Strukturen, direkt vor dem Wohnzimmerfenster. Und das Beste: Ich darf mich hier sogar einnisten.
In den nächsten Tagen mache ich verschiedene Besorgungen, die man am besten in einer Grossstadt erledigt, und frage mich, warum hier fast alle Leute beim Umhergehen in ein kleines Kästchen sprechen. Ich bringe meine Zähne zur Dentalhygiene und meinen Arm zur Hepatitis-Impfung. Meinen Reisepass gebe ich für ein paar Tage der chinesischen Botschaft. Zu meinem Erstaunen erhalte ich dort problemlos ein dreimonatiges Visum fürs Land.
Daneben verschaffe ich mir einen Überblick über das reichhaltige Angebot in den Läden und Warenhäusern der Stadt. Die Japaner scheinen ziemliche Leseratten zu sein, aber es sind auch Unmengen von anderssprachigen Büchern erhältlich. Und wer sich mit elektronischen Geräten ausrüsten will, ist hier genau richtig. Ich bin erstaunt, wie die Maschinen und Maschinchen sich während dem letzten Jahr entwickelt haben. Spezialgeschäfte bieten Lebensmittel aus aller Welt an. Klar, dass sich auch Schweizer Konfitüre und Schokolade in den Regalen befinden. Und wer dann noch Geld hat, kann dieses ganz schnell in Kleider und Schuhe umwandeln. Man muss sich schliesslich den lokalen Modeströmungen anpassen. Zur Zeit sind hier die meisten Mädchen dank den dicken Sohlen gut zehn Zentimeter grösser, hüllen ihre Waden in Leder und zeigen zwischen Stiefelrändern und Rocksaum einen Grossteil ihrer Oberschenkel.
Natürlich muss ich mir auch die merkwürdigen Vorkommnisse in einem Tempel anschauen und fahre zu diesem Zweck am Sonntag in den Stadtteil Asakusa. Es haben sich gerade einige Fotomodelle in traditionelle Japanerinnen verwandelt und Lächeln auf dem Vorplatz geduldig in die Objektive der Hundertschaften von schiesswütigen Hobbyfotografen. Auch verschiedene Besuche in Spezialitätenrestaurants bringe ich daneben noch in meinem in Tokyo unüblich vollen Terminkalender unter.
Am Samstag, 11. Dezember stürze ich mich wieder in meine Fahrradkleidung und ziehe los Richtung Westen. Die Gebäude werden schnell kleiner, doch erst nach stundenlanger Fahrt kommt so richtig Natur auf. Heute finde ich heraus, dass sich auch japanische Friedhöfe zum campieren eigenen, sogar besonders gut, denn sie sind meist in kleine Hügel und Wälder eingebettet. Ich erlaube mir einen kleinen Umweg durch malerische Landschaft, über schmale und gewundene, aber bestens ausgebaute Strässchen hinauf zum majestätischen Fuji, der sich vorerst in dichte Wolken hüllt, sich aber später doch noch kurz die Ehre gibt.
Zurück im Tal, geht es am Montag weiter Richtung winterolympisches Nagano. Kaum erstaunlich, dass in den Hängen die ersten künstlich beschneiten Skipisten erscheinen. Nicht erwartet aber habe ich die vollflächig weiss gepuderten Wiesen und Wälder, die mich umgeben, als ich am nächsten Morgen in der Nähe von Shiojiri aus dem Zelt krieche. Ach, deshalb sind die Wände heute Nacht so gut isoliert gewesen.
Auf dem folgenden Abschnitt Richtung Nagoya wechseln sich Brücken und Tunnel ab. Doch auch in dieser weniger dicht besiedelten Gegend ist die Grundversorgung völlig problemlos. Man muss nicht einmal in die Dörfer hinein fahren. Entlang der Hauptstrasse findet man alle paar Kilometer einen dieser kleinen, bequemen Läden mit Standardsortiment. Schade, dass die Leute in Japan offenbar grossmehrheitlich auf weiches, viereckiges, klein abgepacktes Weissbrot stehen. Die Verpflegungspausen dürfen wegen der kühlen Witterung nicht allzu lang ausfallen. Danach heisst es wieder aufwärmen auf dem Sportgerät. Auch die Kontakte mit Einheimischen sind eher kurz. Eine Zeugin Jehovas schenkt mir einen japanischen «Wachturm». Ein Mann spendet spontan 500 Yen für meine Reisekasse.
Nördlich von Nagoya durchquere ich eine weite, wiederum dicht besiedelte Ebene, um anschliessend dem Nord- und Westufer des Biwa-Sees entlang bis Kyoto zu fahren. Dort dann ein nächtlicher Streifzug durch die verschiedenen Parkanlagen. Der Kyoto Tower beim Bahnhof, so stellt sich heraus, hat, verglichen mit seinem grossen Bruder in Tokyo, äusserst bescheidene Ausmasse. Am Samstag tauche ich im etwas südlicher gelegenen Nara auf. Der Park mit seinen vielen Tempeln und Schreinen ist fast grösser als die Stadt selbst. Die unzähligen Hirsche, die dort wohnen, erhalten ihre Nahrung wohl hauptsächlich von den fütterungssüchtigen Besuchern, welche die Viecher zwar kaum mehr los werden, dafür aber die Aushängeschilder für ihre Familienalben knipsen können.
Am Nachmittag schaue ich noch kurz südlich von Osaka beim Fahrradkomponenten-Hersteller Shimano vorbei. Diesmal hat man mir auf der Feuerwache den Weg gezeigt. Das Telefonverzeichnis meines Studienfreundes ist eine wahre Goldgrube. Heute rufe ich seine Schwester in Kobe an, die dort samt Familie wohnt, und wenige Stunden später sinke ich müde in ihr grosses, weiches Gästebett, dies nach anstrengendem Treppauf- und Treppabschieben des Fahrrades über die Brücken der Stadtumfahrung von Osaka und nach einem Schlussaufstieg der ersten Kategorie.
Im Haus, in dem ich untergekommen bin, habe ich sogar meine eigene geheizte Klobrille, und da mich niemand vorher rauswirft, bleibe ich schon wieder über eine Woche. Am Sonntag machen wir einen Ausflug in den Naturpark auf einem nahen Berg, und ich darf mit der kleinen Tochter des Hauses die Kaninchen füttern. Am Montag muss ich mich erneut mit einem grösseren Schaden am Fahrrad auseinandersetzen. Kurz vor dem Erreichen meines Ziels in Kobe ist im linken Rand der Hinterfelge ein Längsriss aufgetreten. Das hatten wir doch schon mal.
Hier will man mir bereits im zweiten Geschäft, einem kleinen, aber gut ausgestatteten Ein-Mann-Betrieb, weiterhelfen. Der Elan schwingt aber nach einigen Telefonanrufen in grosses Kopfschütteln um. Meine starke französische Felge ist in Japan nicht am Lager. Nach längerem Blättern in Stössen von Prospekten finden wir doch endlich ein etwa gleichwertiges Teil aus amerikanischer Küche, welches schon am nächsten Tag zur Montage bereitsteht. Ohne Aufpreis gibt es gleich noch neue Speichen, die Reparatur des Schutzblechs und eine Gesamtschmierung.
Am Mittwoch Abend stürze ich mich im Stadtzentrum von Kobe ins Gewühl. Tausende von Leuten drängen sich auf den Strassen und Plätzen und bewundern die weihnächtlichen Lichtinstallationen. Über einer der Gassen sind viele leuchtende Querbögen geschlagen. Eine zähflüssige Menge drängt sich gleichgerichtet durch die Röhre. Wo die Menschen wohl alle herkommen? Ich versuche, gegen den Strom zu gehen, gebe mein Vorhaben aber bald auf und schlage in einer anderen Gasse die gleiche Richtung ein, um zu den Wurzeln des Auflaufs zu gelangen. Ich bin enttäuscht: Man steht einfach hinten an, um durch die Arkaden gehen zu können. Aber das ist eigentlich bei der Disziplin der Japaner nicht erstaunlich. Die verstopfte Strasse mündet in einen ebenfalls mit Lichbögen dekorierten, dicht bevölkerten Platz, auf dem natürlich Imbissstände fürs leibliche Wohl sorgen.
Am Freitag habe ich eine Verabredung. Auf dem Hinweg schaue ich mich in Osaka um. Dort fällt vor allem die markante Burg mit grosser Grünfläche auf, umgeben von vielen neuen Bauten, welche miteinander um noch grössere Höhen und noch mehr Stockwerke wetteifern. Am Nachmittag dann begrüsst mich in Sakai ein Shimano-Mitarbeiter, um mich durch das Werk zu führen, mich ganz allein. Der Empfang könnte kaum aufmerksamer sein. Am Eingang der ersten Halle steht ein Schild: «Welcome Mr. Bernasconi»
Während einer guten Stunde schleust mich der Mann von der Marketingabteilung, der wohl deswegen manchmal etwas Mühe hat mit meinen Detailfragen, durch das Bienenhaus, zeigt mir Menschen und Maschinen bei der Arbeit, von den schnaubenden Stanzapparaten bis zu den flinken Fingern in der Handmontage. Auch den Stolz jeder Fabrik, das vollautomatische Hochregallager, besuchen wir. In den gut verteilten Schaukästen sind die allerletzten Neuheiten des Unternehmens ausgestellt, darunter eine Gangschaltung, die mit Druckluft funktioniert. Zum Schluss des Rundgangs erhalte ich noch die übliche Farbbroschüre mit der Firmengeschichte.
Heute ist Heilig Abend, also schnell nach Hause, denn dort warten ein Festessen, schon das zweite in dieser Woche, ein Tannenbaum und weitere Gäste auf mich. Die meisten Päckchen haben ihren Inhalt bereits preisgegeben, als ich eintreffe, aber der Geschenksegen macht auch vor mir nicht halt. Einziger Wehrmutstropfen: keine Flocke Schnee im Garten.
Am nächsten Sonntag lasse ich Kobe doch endlich zurück und pedale der Küste entlang wieder Richtung Westen. Bald taucht links eine imposante Brücke auf, eine der vielen, die die japanischen Eilande verbinden. Am Montag lichte ich die Burg von Himeji ab und fahre auf der ruhigen Küstenstrasse bis Okayama. Am Dienstag ist es wieder einmal Zeit für eine ausgefallene Begegnung. Ich kurble gerade gemütlich auf Fukuyama zu, da jagt plötzlich ein Rennrad an mir vorbei. Ich hänge mich in dessen Windschatten. Beim nächsten roten Lichtsignal stellt sich heraus, dass der junge Mann mit Rucksack vor mir in Osaka studiert und über Neujahr gerade mal kurz nach Hause fährt - gut 500 Kilometer. Er ist heute in der Frühe aufgestanden und hat schon rund die Hälfte der Distanz in den Beinen. Ach deshalb konnte ich so gut mithalten. Wenn das so ist, muss ich wohl auch etwas Führungsarbeit leisten.
Ich fahre noch einige Stunden mit, auch als es schon lange Dunkel ist, und stelle fest, dass auch einheimische Radfahrer sich hier so verpflegen wie ich: kleiner Einkauf, runter mit der Ware und weiter bevor es allzu kalt wird. Erst etwa vierzig Kilometer vor Hiroshima trennen wir uns, nachdem wir noch eine Pfanne selbstgekochte Spaghetti im Licht der Strassenlampe verdrückt haben. Mein Partner fährt weiter und wird sich in der Stadt in einem der durchgehend geöffneten Restaurants etwas ausruhen, und ich hole mir hier im Wäldchen nebenan einige Mützen Schlaf im Zelt.
Am nächsten Mittag die dritte schlechte Nachricht in Japan von der Materialfront. Bruch der Halteschraube unten links am hinteren Gepäckträger. Vergeblich versuche ich, mit dem Taschenmesser den abgebrochenen Bolzen aus dem Loch zu drehen. In Hiroshima wird man mir wahrscheinlich helfen können. Nachdem ich die bedrückenden Überreste eines Kuppelbaus, der heute Atombomben-Dom heisst, und die anderen Mahnmale im grossen Gedenkpark habe auf mich einwirken lassen, suche ich einen Fahrradmechaniker, finde aber eine Fahrradmechanikerin.
Die ist zwar gerade daran, die Werkstatt für die anstehenden Freitage sauberzumachen, rückt aber sogleich mit der Bohrmaschine an, und keine Viertelstunde später sind die Stangen wieder fixiert, wie es sich gehört. Nach dem Preis der Arbeit gefragt, winkt die Frau ab. Das sei Kundendienst, und ebenfalls die Dose Kaffee, die sie mir noch mit auf den Weg gibt. Eine Nacht und einige Kilometer weiter stosse ich auf die Miya-Insel, welche knapp vor der Küste die Besucher anlockt. Ich lasse mich mal kurz mit den Schiff hinüberbefördern. Auch hier gibt es wieder Tempel und Hirsche zu sehen, und auch den Torbogen im Wasser, den alle paar Jahre ein Orkan hinwegfegt.
Am Freitag geht das Jahr zu Ende, bei mir hier recht früh, verglichen mit anderen Teilen der Erde. Für die Nacht schlage ich mich etwas beunruhigt ins Bambus-Unterholz. Doch als um Mitternacht kein Hubschrauber auf mein Zelt gestürzt ist und auch nachher mein Kurzwellenempfänger noch funktioniert, schlafe ich erleichtert ein. Später am Neujahrstag stosse ich ans Westende der Hauptinsel Honshu. Kyushu, die nächste Insel ist gleich gegenüber, und wieder schwingt sich ein gigantischer Betonbau, über den die Autobahn führt, von einer Landmasse zur anderen. Was man nicht sieht: Unter der Meerenge gibt es auch noch einen Strassentunnel mit einer eigenen Röhre für Kriechverkehr, sprich Fussgänger und Radfahrer. Auch das vollbepackte Tourenrad passt in den Aufzug.
Mein Geld wird langsam knapp. Doch bald schon komme ich nach Kitakyushu, eine stattliche Stadt, und dort werden bestimmt hunderte von Automaten gierig nach einem Magnetstreifen in ihrem Schlitz schmachten. Denkste. Die Banken sind natürlich heute zu, und die meisten von ihnen haben über die Feiertage auch ihre Geldmaschinen abgeriegelt. Die wenigen zugänglichen Apparate vertragen allesamt nur japanische Kost. Ohne Bares in der Börse schrumpft die Zahl der Verpflegungsmöglichkeiten dramatisch. Nur eine der vielen Ladenketten verkauft ihre Ware auf Pump, doch das reicht zum Überleben.
Am Sonntag, im grösseren Fukuoka, legen die Geldspender das gleiche wählerische Verhalten an den Tag: Entschuldigung ... leider zur Zeit nicht. Und auf dem Flughafen? Natürlich auch alle Geschäfte zu. Zwei, drei verirrte Passagiere sitzen im Wartsaal. Die gelangweilte Frau von der Businformation führt mich in die andere Ecke der Halle zu einem Kasten mit grossem MasterCard-Aufkleber. Jetzt kommt alles gut: Karte rein - Geld raus. So einfach geht das.
Mit der wiedererlangten Freiheit fahre ich zurück ins Stadtzentrum und setze mich beim Büro-Dienstleister eine Weile an den Computer. Als ich den Spass bezahle, fragt mich der Angestellte, wo ich denn die Nacht verbringen werde. Es sei doch viel zu kalt im Zelt. Er habe hinten im Hof seinen grossen Wagen stehen. Er richtet im Minibus die Liegefläche her, und ich breite mich für einige Stunden darauf aus. Nach seiner Nachtschicht fahren wir zu ihm nach Hause. Duschen, Frühstück. Gegen Mittag pedale ich mit feinen hausgemachten Reisküchlein in der Tasche weiter.
Die Leute sind wohl hier auf Kyushu geselliger als andernorts in Japan. Am Dienstag überholt mich ein älterer Mann auf seinem Motorrad. Wenige hundert Meter weiter wartet er am Strassenrand auf mich und gibt mir heftig Handzeichen. Ich halte an. Er zerrt mich in den Landen. Ich solle mir auf seine Rechnung etwas Essbares aussuchen. Wieder draussen, muss ich natürlich noch einige Fragen beantworten. Zwischen uns steht nur mein Japanisch-Wörterbuch, in dem ich eifrig blättere. Bevor ich am nächsten Tag Nagasaki erreiche, hält mich schon wieder jemand an, diesmal ein junger Mann. Es spendet Kaffee und telefoniert für mich.
Irgendwo habe ich einmal etwas von einer Schiffsverbindung zwischen Nagasaki und Shanghai gelesen, aber die Information nicht weiter überprüft. Ja, die habe es früher mal gegeben, sagt man mir im Fährhafen. Und was nun? Einige Abklärungen ergeben, dass aller Passagier- und Güterverkehr nach China heute über Osaka abgewickelt wird. Alles zurückfahren? Das darf doch nicht wahr sein. Ich will mich noch am gleichen Tag auf den Weg machen, doch als ich vor dem nächsten Laden im Regen mein Weissbrot kaue, bietet mir schon wieder jemand Kost und Logis zum Nulltarif an. Zum Abendessen gibt es bei der Katzennärrin die Lieblingsspeise ihres Mannes: Pizza. Nachdem ich eine der Katzen aus dem Schrank in meinem Zimmer befreit habe, verbringen wir beide eine ruhige Nacht.
Weinigstens wähle ich zurück nach Fukuoka einen anderen Weg. Für die Nacht auf den Freitag erwische ich ein erwähnenswertes Plätzchen fürs Zelt; inmitten niedriger Föhren auf einem breiten Streifen zwischen Hauptstrasse und rauschender Brandung. Inzwischen habe ich noch eine andere Lösung für mein Routen-Problem ausgetüftelt. Eigentlich wollte ich ja schon immer mal nach Korea, und von dort fahren gemäss meinem China-Ratgeber jede Menge Schiffe ins Reiche der Mitte.
Am kommenden Nachmittag spreche ich wieder bei meinem Fukuoka-Gastgeber vor. Das nächste Schiff nach Korea läuft in drei Tagen aus, finden wir heraus. Bis dahin könne die kleine Wohnung, in der er und sein Geschäftspartner sich eine Matratze und einen Teppich teilen, auch mich noch aufnehmen, meint er, schliesslich sei sein Bett ja nachts frei. Und so komme ich dann in den Genuss noch mehr japanischer Küche und beweise ausserdem, dass man in einem Reiskocher auch italienische Pasta warmstellen kann.
Als ich am Montag, 10. Januar gegen Mittag meine Fahrkarte besorge, erfahre ich, dass ich schon bald wieder im Hafen sein sollte. Noch schnell alles mögliche erledigen und Abschied nehmen. Während ich im Passagiergebäude auf die Türöffnung warte, sagen sich zwei Koreanerinnen gehörig die Meinung, und zwar bühnenreif und lange genug, dass sich eine Schar von Zuschauern ansammeln kann. Etwas später, auf dem Schiff, kette ich das Fahrrad an die Reling und suche meine Unterkunft. Man legt sich in den mit brusthohen Wänden getrennten Räumen nach japanischem Stil auf den leicht erhöhten Teppichboden. Mein Acht-Personen-Abteil ist mit fünf Koreanerinnen und einem Koreaner samt Bergen von Gepäck schon mehr als voll. Entsprechend wenig Freude haben die Leute am neuen Gast, der sich noch ankündigt.
© 15.3.2000 albano & team