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Es beginnt alles ganz harmlos auf der Kiesstrasse im Staate Washington; ein platter Reifen am Hinterrad. Ursache: Durchschlag wegen zu wenig Druck - Selbstverschulden. In den folgenden Wochen bohren sich die verschiedensten Gegenstände durch beide Reifen. Was haben Heftklammern auf der Strasse zu suchen? Und warum muss ich ausgerechnet über diese fahren?
Glasscherben sind besonders hinterhältig. Einmal festgefahren, fressen sie sich durch alle Schichten bis zum dünnen Schlauch. In Südkalifornien und in Baja California machen die Räder dann Bekanntschaft mit Dornen. Die ganz gemeinen sind kurz, hart wie Stahl und verstecken sich im Sand. Pumpen und auch Schlauchflicken gehören zum Tagesprogramm.
Diese Arbeit ist zwar lästig, doch mehr Grund zur Beunruhigung gibt der vordere Alu-Gepäckträger. Schon vor San Francisco bricht der rechte untere Bügel am Verbindungsstück ab: Der linke folgt bald darauf. Speichendraht zwingt die Rohre wieder in ihre Position, lässt ihnen aber etwas viel Auslauf.
Bald bricht der rechte Bügel folglich auch vorne ab, am Kreuzungspunkt mit dem unteren Querrohr. Jetzt ist noch mehr Erfindergeist gefragt. Ich nehme die Herausforderung an, biege das lose Rohr zu einem U und kreuze die Enden. So passt das Stück einwandfrei ans Querrohr. Fixiert wird es mit der eben ausgewechselten Schaltsaite und breitem, plastifiziertem Gewebeband vom Nachbarn auf dem Zeltplatz in La Paz.
Als der andere Bügel auch zum zweiten Mal gebrochen ist, gerät er in Guadalajara ins Vorderrad und wickelt sich zu einer netten Schleife einenhalb Mal um die Nabe. Also fahre ich ganz ohne linken Bügel weiter. Die Tasche hält auch so einigermassen.
Dem hinteren Gepäckträger, ebenfalls aus Aluminium, ging es auch schon besser. Unterweges hat sich eine Halteschraube verabschiedet, und das mittlere Rohr ist auf der einen Seite auf der Höhe der Ablagefläche abgebrochen. Das ist nicht allzu beunruhigend, schliesslich hat es noch zwei weitere Rohre. Doch später bricht das gleiche Rohr kurz oberhalb der Schraube ab. Auch hier helfen alte Speichen, mein beliebtestes Bastelmaterial.
Irgendwann komme ich dann zur verhängnisvollen Bodenwelle in Zitácuaro, wo meine Gewebeband-Reparatur ihre Schwäche offenbart und das U in die Speichen gleiten lässt. Vorderfelge und Gabel müssen ersetzt werden, aber auch dem hinteren Träger setzt das Ereignis nochmals kräftig zu.
Damit nicht genug. Kurz nach Mazatlán setzt eine weitere Serie von alarmierenden Veränderungen ein: Plötzlich erscheint am Hinterrad ein Spalt von etwa 5 cm im Felgenrand. Ich muss die Bremszange etwas nach unten verstellen, damit der Bremsgummi nicht am Reifen scheuert, und nach einem trotzdem geplatzten Schlauch den Reservereifen montieren.
Die nächste Überraschung lässt nicht lange auf sich warten: Ein ungünstig auf der Strasse platziertes, grösseres Objekt zupft eine Speiche aus der hinteren Felge. Später wird eine weitere ohne erkennbaren Grund herausgerissen. Ich zentriere das Rad so gut wie möglich und bin erstaunt, wie rund dieses mit all den Schäden noch läuft.
Mit diesem spitalreifen Fahrrad reise ich durch halb Mexiko. Das zerrissene Lenkerband fällt da nicht mehr ins Gewicht. Nach einigen Wochen und einigem Hin und Her, erreichen mich in Oaxaca endlich die Ersatzteile von zu Hause, und ich darf mein Gefährt wieder oder jetzt erst recht Tourenrad nennen. Auf die neuen Reifen wäre ein Lastwagen neidisch, die Gepäckträger sind nunmehr Gepäckgestelle aus Stahl und Schweizer Fertigung, Der Freilauf des (ebenfalls neuen) Hinterrades schnurrt beruhigend, wie eine zufriedene Katze.
© 12.3.1999 albano & team