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Zurück in die Zukunft

Januar, Februar in Südkorea, China, Japan

Neues Land, neue Leute, neue Schrift - Kurz abgelegen - Schweiz in Griffnähe - Autofahrten und knapp ein Zimmer - Globales Englisch - Inchon persönlich - Ab ins Reich der Mitte - Bauboom und Tretmaschinen - Geplante Marktwirtschaft - Shanghai Ladies - Teure Ansichtssendung - Die Wende - Internationales Warten - Zeltplatz am anderen Ufer - Grosse Zerlegung

albano, Huancayo (Peru) im April 2000

hoch Neues Land, neue Leute, neue Schrift

Die Koreaner verteidigen ihr Abteil, reden in ihrer Sprache auf mich ein und geben Handzeichen. Ich werfe japanische Wortfetzen zurück und verweise auf die Nummer auf meinem Fahrschein. Der Japaner, der sich als einziger im gegenüberliegenden Raum eingerichtet hat, erklärt mir daraufhin, auch ihn hätten die Koreaner rausgeworfen, und auf das Nachbarabteil habe bisher niemand Anspruch erhoben. Also ziehe ich bei ihm ein. Wir haben eine angeregte Diskussion und verbringen daraufhin eine ruhige Nacht. Das Schiff ankert für einige Stunden vor der südkoreanischen Küste, und bei Tagesanbruch fahren wir in den Hafen von Pusan ein.

Die Zollformalitäten sind schnell abgewickelt. Der Tourist wird hier mit Information förmlich überschüttet. Auskunftspersonal und jede Menge Prospekte schon in der Ankunftshalle, unweit vom Hafen dann ein stattlicher Pavillon. Ein ans Internet angeschlossener Computer steht unbeachtet herum und freut sich über meine Zuwendung. Die Frauen an der Theke sprechen sogar Russisch. Selbstverständlich ist auch schriftliche Information in dieser Sprache erhältlich. Doch anstatt mich mit kyrillischen Zeichen herumzuschlagen, wende ich mich tapfer der koreanischen Buchstabensuppe zu. Es handelt sich offenbar um eine phonetische Schrift. Doch für welche Phoneme stehen die einzelnen Symbole? Die zweisprachige Strassenkarte gibt einige Hinweise.

hoch Kurz abgelegen

Nach einem Besuch bei der Bank schwinge ich mich in den Sattel. Auf den Strassen dominieren die weltweit bekannten inländischen Automarken. Der Verkehr wirkt hier im Vergleich zu Japan mehrere Stufen unordentlicher. Nach hunderten von Tagen Lateinamerika mit dem Fahrrad erwarte ich trotzdem nicht, schon nach wenigen Kilometern auf der Strasse zu liegen. Ich fahre zügig am Rande von mehreren Spuren (erneut rechts) in ziemlich dichtem Verkehr. Wieder einmal hat ein aufs Rechtsabbiegen wartendes Fahrzeug die Nase zu weit vorn. Ich will gerade knapp und sauber daran vorbeiziehen, da hüpft dieses vorwärts und rammt eine meiner vorderen Taschen. Der Lenker gerät aus der Fahrtrichtung, und bald komme ich samt Gefährt in horizontaler Lage zum Stillstand.

Zwar muss ich, wie nach einem solchen Vorfall zu erwarten, das Gepäck neu montieren, aber wenigstens haben sowohl Fahrer wie auch Fahrzeug nur kleine Schrammen abbekommen. Sogleich tauchen mich zwei Koreaner in den Wortschwall ihrer Verhandlungen. Da betritt ein dritter Einheimischer mit Englischkenntnissen die Szene, und ich verstehe bald, dass der hintere der beiden Fahrzeuglenker den Fuss voreilig von der Kupplung gerissen hat. Ich prüfe nochmals mich und den Untersatz auf grössere Schäden, finde keine und entschliesse mich gegen einen Arztbesuch. Austausch der Personendaten, und weiter geht's, entlang von hunderten, in den Vororten monoton nebeneinandergeschachtelten Wohnblöcken. Die Landschaftsverunstaltung ist noch nicht abgeschlossen, aber wenigstens finde ich auf einem planierten Baugelände Platz fürs Zelt.

hoch Schweiz in Griffnähe

Am übernächsten Tag suche ich meinen Weg wieder durch eine Stadt, Taegu. Auch hier sind die Mobiltelefone schon weit verbreitet. Sogar auf der Strasse liegen sie herum. Jenes, das ich finde, ist betriebsbereit, und der Gedanke liegt nicht fern, mal kurz in meine Heimat zu telefonieren. Stattdessen bringe ich das Gerät auf den nächsten Polizeiposten, und schon bald meldet sich der Eigentümer über seine Nummer. Der kleine Abstecher verhilft mir zu einer Getränkepause im geheizten Wachhäuschen und zu einer Eskorte durch die halbe Stadt. Trotzdem bin ich bis zum Eindunkeln unfähig, die richtige Ausfallstrasse zu finden.

Es wird immer kälter, und dennoch weigere ich mich beharrlich, mich in eines der auch hier nicht billigen Hotels zu begeben. Ich fahre, halte kurz, fahre wieder und schlafe am Morgen mangels Lust auf die kalte Wirklichkeit noch länger als sonst. Die Nacht vom Freitag auf den Samstag verbringe ich auf einem Feld neben der Gedenkstätte für die Schlacht bei Sangju. Am Samstag dann bin ich unterwegs nach Ch'ongju. Auf einer Anhöhe mache ich eine kurze Pause, ebenso ein junger Mann mit Lieferwagen. Unser Gespräch gedeiht mangels Sprachkenntnissen nicht sehr weit.

hoch Autofahrten und knapp ein Zimmer

Nach der Abfahrt holt mich mein neuster Bekannter ein und hält mich an. Normalerweise würde ich sein Mitfahrangebot aus Stolz ablehnen und sein Heim in der Stadt, in das er mich wohl mitnehmen will, per Rad erreichen. Da ich ihm aber diese Variante nicht verständlich erklären und erst recht nicht plausibel begründen könnte, lade ich meine Maschine halt auf den Wagen. Nächste Station ist, tatsächlich, die Wohnung oder besser gesagt Zimmer und Küche meines Fahrers. Er bereitet Reis zu und serviert es mit einer Unmenge von Beilagen auf einem kleinen, bodennahen Tisch in der geheizten Stube. Den Rest des Tages verbringen wir mit dem Austausch einiger weniger Brocken Englisch, aber vor allem Handzeichen und Zeichnungen. So erfahre ich unter anderem, dass am nächsten Tag ein Ausflug mit mir vorgesehen ist. Das Bett meines Gastgebers besteht aus dem flauschigen Teppich zwischen Wand und Fernseher sowie einer Decke, unter welcher auch ich Platz finde. Die zu befürchtenden nächtlichen Annäherungsversuche bleiben aus.

Am nächsten Morgen fahren wir dann per Auto zu den über 150 Kilometer weit entfernten Kosodong Höhlen. Unterwegs hält mein Freund plötzlich an und lässt mich ans Steuer. Obwohl ich vor mehr als einem Jahr zum letzten Mal einen Wagen gelenkt habe, verwechsle ich nicht einmal Kupplungs- und Bremspedal, habe also alles voll im Griff. Ich verstehe bloss nicht, warum mein Beifahrer immer «slowly, slowly» sagt. Die Höhle ist auch nicht von schlechten Eltern, nur drängen sich etwas viele Leute über die Stege und Wendeltreppen vorbei an den bizarren Kalk-Ablagerungen.

hoch Globales Englisch

Auf dem Rückweg schauen wir bei der Frau meines Gastgebers vorbei. Das Restaurant, in dem wir empfangen werden, ist eigentlich geschlossen. Ab und zu schauen jedoch Leute aus dem weiteren Freundeskreis vorbei, und bald schon finde ich mich mitten in einem animierten, mehr oder weniger englischen Gespräch mit jungen Koreanerinnen und Koreanern. So vergehen die Stunden schnell. Die Nacht verbringen wir wieder zu zweit in Ch'ongju, und am Montag bringt mich mein Freund noch ein gutes Stück weit mit dem Auto Richtung Norden, bevor wir uns schweren Herzens verabschieden. Gleichentags erreiche ich Inchon, den Fährhafen von Seoul. Schon wieder Ärger mit dem Schiff: Anstatt am Dienstag, wie abgedruckt, fährt mein Boot nach Shanghai erst am Samstag.

Nach einer eiskalten Nacht im Schlafsack, spreche ich bei einem der Informationshäuschen des Touristenbüros vor. Die Studentin, die gelangweilt auf die in den Wintermonaten ausbleibenden Ratsuchenden wartet, freut sich über den Besuch aus der Schweiz und heisst mich in die geheizte Kabine einzutreten. So lässt sich viel angenehmer diskutieren, natürlich wieder auf Englisch. Für die nächste Nacht finde ich eine gemütliche Kombination in der Nähe des Bahnhofs: Rund um die Uhr zugängliche Computer und Läden. Also schürfe ich zuerst meine Schnellimbiss-Nudeln aus dem Becher und setzte mich dann an den Bildschirm.

hoch Inchon persönlich

Der Mittwoch beginnt voll eingeschneit und naturgemäss mit einem Verkehrschaos. Trotzdem kommt mein persönlicher Fremdenführer wie abgemacht auf vier Rädern und motorisiert zum Treffpunkt. Ich habe den Lehrer gestern kennengelernt, und er hat mir angeboten, mich in der Stadt herumzuführen. So bin ich den ganzen Tag gut aufgehoben. Wir sehen uns im Hafen um. Dann studieren wir in der Ausstellungshalle des Monuments der koreanischen Einheit die alliierte Landungsoperation im Koreakrieg und vergleichen nord- und südkoreanische Güter. Schliesslich bewundern wir im Stadtmuseum die archäologischen Fundstücke. Damit nicht genug; mein Begleiter lädt mich auch noch zum Essen ein.

Gegen Abend hole ich mir draussen etwas Schlaf im Sack, und bis zum nächsten Morgen hänge ich wieder am Internet. Für die letzten beiden Nächte in Inchon gebe ich mich geschlagen und miete ein mollig warmes Hotelzimmer. Tagsüber bin ich oft bei meiner Freundin von der Touristeninformation anzutreffen, aber auch beim Essen mit anderen Bekannten. Am Samstag dann schon wieder ein trauriger Abschied, bevor ich mich im provisorischen Passagierabfertigungsgebäude unter die wartenden Leute mische.

hoch Ab ins Reich der Mitte

Gepäck abmontieren, Sicherheitskontrolle, Gepäck montieren, abmontieren, Bustransfer, Gepäck montieren und nochmals abmontieren. Mein Fahrrad kommt in die Gepäckkabine und ich zusammen mit einem koreanischen Geschäftsmann in eine Passagierkabine. Nach einem faulen Sonntag auf dem kombinierten Fracht- und Passagierschiff schlagen ich und die anderen verhältnismässig wenigen Gäste uns die Bäuche an einem satten chinesischen Buffet voll. Die See hält sich zum Glück ruhig.

In Shanghai kommen wohl nicht viele Personen auf dem Seeweg an. In der kleinen Halle sammelt sich am nächsten Morgen nur gerade unsere Ladung von Reisenden. Der Beamte wirft kaum einen flüchtigen Blick auf mein Visum, man durchleuchtet bloss eine meiner Taschen auf dem ansonsten unbenutzten Förderband, und schon bin ich in der Volksrepublik China. Es regnet. Das günstigste Hotel hier heisst Pujan und hat mit 55 Yuan (knapp 7 US-Dollars) für ein Bett pro Nacht im Schlafsaal wieder vernünftige Preise. A propos Geld: Koreanische Wons lassen hier keine Herzen höher schlagen und werden nur unter der Hand in Landeswährung umgetauscht, aber die internationalen Automaten spucken gegen Vorweisen der Kreditkarte freudig chinesisches Geld aus.

hoch Bauboom und Tretmaschinen

Ein erster Stadtbummel enthüllt Verblüffendes: Auf dem sogenannten Bund entlang des Flusses Huangpu repräsentieren, wie erwartet, die altbestandenen Fassaden von Banken und Hotels, doch auf der anderen Seite des Wassers türmt sich eine stattliche Zahl von mächtigen Konstruktionen aus Beton, Stahl und Glas aus jüngster Vergangenheit. Die gewagteste unter ihnen und gleichzeitig das neue Wahrzeichen der Stadt, der Oriental Pearl Tower, ragt weit in die Regenwolken hinauf.

Der Verkehr ist hier dicht, genau wie in anderen Städten. Die Quote der mechanisierten, aber nicht motorisierten Verkehrsteilnehmer ist jedoch hoch. In diese Kategorie fallen nicht nur herkömmliche Fahrräder, sondern auch muskelkraftbetriebene Drei- und Vierräder mit oder ohne Sitzbank und Ladefläche. Für all diese Gefährte und deren Abarten sind ganze Gassen reserviert, die sich mit jenen für Motorfahrzeuge abwechseln. In diesen Gassen gibt es nur zwei Regeln: Mit den anderen Verkehrsteilnehmern mitfliessen und im Falle eines Hupsignals von hinten wenn möglich ausweichen.

hoch Geplante Marktwirtschaft

Auch auf dieser Seite des Flusses wird tüchtig gebaut - hier ein dreistöckiges Holzgerüst, dort ein himmelhohes Betongerippe. Ausserdem scheint der Kapitalismus ungebremst um sich zu schlagen. Die Warenhäuser stehen ihren westlichen Pendants in nichts nach, und auch der alte Mann von Kentucky Fried Chicken lächelt dem Besucher vertraut entgegen. Wenigstens auf dem Renmin-Platz ist die Welt noch in Ordnung. Vor dem Gebäude der Stadtverwaltung steht der Militärposten geduldig neben der wehenden roten Fahne Wache.

In meinem Hotelzimmer hat es acht Betten, welche hauptsächlich mit Japanern belegt sind, doch am Dienstag kommt ein Bieler an, der soeben mit dem Nachtzug aus Peking eingetroffen ist, und in den nächsten Tagen streife ich zusammen mit meinem Landsmann durch die Stadt. In einer Fussgängergasse lädt uns der Besitzer eines Souvenirladens zum Tee ein, und wir tauschen Höflichkeiten aus. Die zweite Einladung, die wir gemeinsam annehmen, verläuft dann allerdings etwas weniger angenehm: Der Abend geht schon seinem Ende entgegen. Bevor wir uns in die Federn hauen, drehen wir nochmals eine Runde in der Fussgängerzone. Die angepeilte Karaoke-Bar ist bereits geschlossen.

hoch Shanghai Ladies

Den zahlreichen Maklern, die auf der Strasse mit dem Angebot einer «Shanghai lady massage» an Touristen herantreten, begegnen wir mit Skepsis. Allerdings sind wir dann doch neugierig genug, um einen dieser Männer zu fragen, welche Dienstleistung er denn hier genau anbiete und zu welchem Preis. Seine Ausdrucksmöglichkeiten reichen scheinbar nicht, um uns genauer Auskunft zu geben. Stattdessen meint er, wir sollten uns die Sache doch einfach mal unverbindlich anschauen. Wir folgen ihm. Am Ort des Geschehens führt er uns in ein Zimmer mit Kunstledersofa, Bildschirm und Mikrophon. Doch Karaoke? Er werde uns jetzt zwei reizende Mädchen vorstellen, mit denen wir uns auf Englisch unterhalten könnten, sagt uns der Kundenwerber noch, bevor er verschwindet.

Wenige Sekunden später sitzen zwei aufgetakelte Chinesinnen neben uns. Zwar können wir den beiden jungen Frauen die eine oder andere Vokabel entlocken, aber Körpersprache scheinen sie viel besser zu beherrschen. Während ich einen fremden Oberschenkel an meinem spüre, hat mein Freund bereits eine Hand auf seinem Knie. Inzwischen hat uns die aufmerksame Betriebsleitung alkoholische Getränke und Knabbereien bereitgestellt, und unsere Begleiterinnen haben die Gläser schon fast geleert. So sieht also diese Dienstleistung aus. Wir beschliessen zu gehen. Als ich kurz vorher meiner Zuckerpuppe gesagt habe, in welchem Hotel wir wohnen, hat sie mich entsetzt angeschaut und dann eilig den Raum verlassen.

hoch Teure Ansichtssendung

Jetzt, als wir es unter den handgreiflichen Einwänden der anderen Frau schon fast bis zur Tür geschafft haben, erscheint die erste mit zwei Männern wieder. Der eine von ihnen ist elegant gekleidet und hält uns eine saftige Rechung unter die Nase, der andere unterstreicht die Forderung durch seine Grösse, seinen durchdringenden Blick und sein kantiges Gesicht. Die beiden sprechen zwar scheinbar nur Shanghainesisch, aber sie begreifen sehr wohl, dass wir nicht zu bezahlen gedenken. Und wir verstehen, dass wir den Raum nicht verlassen können. Ich will mit dem Mann sprechen, der uns hierher geschleppt hat, und überlege bereits, wie wir uns hier die Nacht so gemütlich wie möglich machen könnten, merke aber, dass meinem Freund diese Aussicht nicht gefällt. Also lassen wir einige Banknoten springen, besänftigen so die Geier mit einem Bruchteil der geforderten Summe und sind kurz darauf zu Fuss unterwegs zurück ins Hotel.

Schon seit Wochen ist mein psychisches Gleichgewicht gestört. Grund sind die herzzerreissenden elektronischen Briefe, die mich alle paar Tage aus Peru erreichen und die ich selbst dorthin schicke. Ich beschliesse, den Liebeskummer wegzustecken und breche am Samstag, 29. Januar Richtung Südwesten auf. Auch ausserhalb der Stadt ist auf den Strassen für Fahrräder und deren Verwandte eine ganze Spur oder sogar ein eigener Streifen reserviert. Trotz dichter Landnutzung finde ich am Abend jeweils ein paar geeignete Quadratmeter fürs Zelt. Dank den vielen Strassenrestaurants und meinen Kenntnissen in Zeichensprache gibt es bei der Verpflegung keine Engpässe. Und auch den Wegweisern ist mit etwas Übung im Lösen von Bilderrätseln durchaus die eine oder andere Information zu entlocken.

hoch Die Wende

So fahre ich gut 200 Kilometer bis ich am Montag kurz vor Hangzhou ein regelmässiges Knacken im Rhytmus der Pedalumdrehungen vernehme. Doch nicht das Tretlager ist defekt, wie ich zuerst vermute. Als ich in der Stadt meine Maschine etwas genauer anschaue, stelle ich fest, dass die rechte Kettenstrebe in der Nähe der Nabe durchgebrochen ist. Während ich dem Defekt behelfsmässig mit Kabelbindern zu Leibe rücke, frage ich mich, warum ich eigentlich hier Richtung Hong Kong fahre, wenn doch in Peru die schönste und liebste Frau der Welt auf mich wartet. Ich finde keine Antwort, beschliesse aber, diese offensichtliche Fehlplanung meiner Reiseroute sofort zu korrigieren, und verlasse Hangzhou auf dem gleichen Weg, wie ich es erreicht habe.

Beim Eindunkeln komme ich im Städtchen Yuhang an, wo mir die Angestellten des Telefonamtes ein Hotelzimmer beschaffen, dieses gleich selbst bezahlen und mich auch noch zum Essen ausführen. Das einzig Warme im Zimmer ist das dampfende Wasser in den bereitgestellten Thermosflaschen, und so bin ich auch hier froh, dass ich mein eigenes Bett dabei habe. Der Schneematsch, der am nächsten Tag auf den Strassen liegt, hält mich nicht auf. Unterwegs suche ich ein Schweissgerät, um meinem Rahmen wieder etwas mehr Stabilität zu verleihen. Ich halte bei einer kleinen Autowerkstatt und erlebe mein chinesisches Reparaturwunder. Der Mechaniker führt mich einige hundert Meter weiter zu einem Berufskollegen. Dieser klemmt sogleich ein Kabel an mein Stahlross und brät die beiden Rohrenden zusammen, ohne das Gepäck abnehmen zu wollen. Und bezahlen will die Arbeit der Mann, der mich hergeführt hat.

hoch Internationales Warten

Am Mittwoch Abend bin ich wieder im gleichen Hotel in Shanghai. Diesmal steckt man mich in einen Schlafsaal mit vierzehn Betten, wieder in internationale Gesellschaft vor allem von Japanern und Briten. Aber auch ein Franko-Kanadier mit Fahrrad verweilt hier für ein paar Tage. Er ist soeben aus Indien eingeflogen und wird in China arbeiten. Die paar Tage bis zur Abfahrt des Schiffs, das mich zurück nach Japan bringen wird, sind so alles andere als langweilig. Und auch in Shanghai gibt es Internet-Cafés, die rund um die Uhr geöffent sind. Ich schaue um elf Uhr Abends vorbei und erkundige mich nach dem Nachttarif. 10 Yuan die Stunde. Aber von wann bis wann? Gut, dann halt 8 Yuan die Stunde. Aber die Preise sind doch dort angeschlagen. Aha: 6 Yuan in der Nacht und 10 tagsüber. Also habe ich die Tarifangaben auf Chinesisch doch richtig entschlüsselt.

Dienstag, 8. Februar. Ich verlasse China durch die mir bereits bekannte Zollstation im Hafen. Wieder ein Problem beim Geldwechseln: Man will die Kaufquittung sehen, und die ist zuunterst im Rucksack. Als ich das Schiff betrete, nochmals eine Überraschung: Fahrräder kosten extra. Man verweist auf das japanische Kleingedruckte im Transportvertrag. Meine Unterkunft ist wieder japanischen Stils wie bei der Überfahrt nach Korea. Diesmal gibt es keine Platzprobleme. Wir sind nur drei Personen in einem Abteil für etwa vierzig. In den Kabinen im gleichen Stockwerk sind jede Menge junge Chinesinnen einquartiert. Sie sind auf dem Weg zum Stellenantritt in Japan. So kreuzen wir fast zwei Tage durch den Ozean. Am Donnerstag gegen Mittag laufen wir in Osaka ein. Der Warenzoll untersucht meine Habseligkeiten aufs Genauste. Auf dem Weg in die Stadt kommen mir die minutiöse Signalisation und der Linksverkehr sehr vertraut vor.

hoch Zeltplatz am anderen Ufer

Im Zentrum besuche ich meine ehemalige Gastgeberin aus Kobe, und sie überzeugt mich, ihre Gastfreundschaft nochmals für eine Nacht in Anspruch zu nehmen. Das Angebot ist einfach zu verlockend, obwohl Kobe in der falschen Richtung liegt. Danach bin ich wieder sechs Tage am Pedalen und verpflege mich in den bekannten kleinen Läden. So gelange ich fast auf dem kürzesten Weg, über Nagoya und Kakegawa, zurück nach Tokyo, wo man mir auf dem Wakusa-Zeltplatz den Maximalaufenthalt von drei Nächten gewährt. Ich ruhe aus, bereite mein Gepäck auf den bevorstehenden Flug vor und gehe auf Einkaufstour, ohne allerdings viel einzukaufen.

Am Sonntag muss ich den Zeltplatz verlassen. Für die nächste Nacht habe ich bereits ein lauschiges Plätzchen in einem nahen Park ausfindig gemacht. Nach Ende der Abenddämmerung suche ich diesen Ort auf. Auf dem Weg dorthin nimmt mich eine dunkle Gestalt ins Visier und folgt mir. Ein Parkwächter? Als ich in meiner designierten Zeltecke anhalte, tritt der junge Mann näher und beginnt vorsichtig, mir Fragen zu stellen, nach meiner Herkunft, meinem Alter. Warum er so konsequent meine Körpernähe sucht, wird mir erst klar, als er mich endlich fragt, ob ich denn nicht schwul sei. Die entsprechend veranlagten würden sich hier immer zu dieser Stunde treffen. Nein, vielen Dank. Wenn das so ist, suche ich mir lieber eine andere Übernachtungsgelegenheit. Auf dem mir bereits bekannten Grünstreifen zwischen Strasse und Golfplatz werde ich fündig. Da es aufgehört hat zu regenen, brauche ich nicht einmal das Zelt zu bemühen.

hoch Grosse Zerlegung

Nun ist bei Oliver, beim Tokyo-Schweizer, bei dem ich im Dezember schon über eine Woche gewohnt habe, ein Platz für mich frei, und ich kann mich vor dem Abflug nochmals zwei Nächte in der Wohnung ausruhen. Den ganzen Dienstag bin ich am Packen, und zwar hauptsächlich am Einpacken des Fahrrads. Ich will diesmal alles unternehmen, um nicht wieder einen übergrossen Koffer aufgeben zu müssen. Bis auf die letzte Schraube montiere ich alle Teile ab. Für Pedale und Gabel suche ich einen Fahrradhändler auf. Schliesslich schnüre ich mit Bildschirmverpackungskartons aus der nahen Mülltonne, der mitgeführten Hülle und einem ganzen Knäuel Schnur ein nettes kleines Paket, in dem man kaum ein Zweirad vermuten würde. Als ich am Mittwoch, 23. Februar nach der Zugfahrt an den Flughafen am Schalter vorspreche, akzeptiert die Angestellte denn meine beiden Gepäckstücke auch ohne Murren und ohne zusätzliche Forderungen. Um 18 Uhr löst sich meine Maschine vom Grund und nimmt Kurs Richtung Amerika.

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© 26.4.2000 albano & team